Eigentlich geht es uns gut. Wir kommen über die Runden, mussten keinen Krieg miterleben und keinen Hunger leiden. Ja, eigentlich geht es uns gut.. wäre da nicht dieses Gefühl von unsäglicher Nutzlosigkeit. Wir treten auf der Stelle. Wollten so viel werden und sind all das geworden, was wir nicht sein wollen. Wir wissen nicht, was richtig oder falsch ist. Jede Entscheidung hat zehn verschiedene Ausgänge, also entscheiden wir uns lieber nicht. Dieses schwer auf uns lastende Gefühl verbindet uns auf eine anrüchige Art. Wir können alles und doch nicht so richtig. Wir wollen alles und entscheiden uns nach der zehnten Nachfrage für ein „maybe“.
„Don’t be a Maybe.“ – Marlboro-Kampagne
Wir sind Maybes. Ich bin ein Maybe – und nein, das wird jetzt nicht gegendert.
Du bist ein Maybe – vielleicht könnte ich ein „*“ hinter setzen, damit es für alle okay ist.
Deine Freunde sind Maybes* und deren wahrscheinlich Freunde auch.
So gerne ich auch wissen möchte, wo ich im Leben noch hin will, so ungerne möchte ich mich festlegen. In nahezu jeder Lebenslage. Ich bin chronisch unentschlossen, unmotiviert, unkonzentriert und oftmals gelangweilt vom Leben. Ich habe kein ADS (das wird ein Merkmal der zweiten Generation nach uns), ich nehme keine Drogen, ich habe tausend Optionen, alle haben so ihre Vor- und Nachteile. Entscheiden kann ich mich nicht. Aber es geht ja nicht nur mir so – um genau zu sein, geht es unserer ganzen Generation so.
Klaus Hurrelmann, dessen größter Fan ich insgeheim bin, fasst unter diese Generation alle zwischen 1985 bis 1990 Geborenen. Ich persönliche fasse alle darunter, die sich dem zugehörig fühlen.
Was zeichnet uns aus?
Uns zeichnen Probleme aus, die an sich sehr überschaubar sind:
- Warum hängt das Internet schon wieder?
- Esse ich heute Abend Pizza oder lieber Tofu-Getreide-Gedöns?
- Warum ist schon wieder der Akku vom Notebook hin?
- Wie schnell bekommt so ein Handy eigentlich Kratzer?
- Film, Theater oder Konzert?
Nun ja. First-World-Problems. Die Generation interessieren keine Wirtschaftskrisen, aber wehe die Kugel Eis wird teurer. Sie sprechen sich für flexible Arbeitszeiten aus, aber die Bahn darf auf gar keinen Fall zu spät kommen. Maybies sind für Meinungsfreiheit – ja aber bitte nur für diejenigen, die ihre Meinung teilen. So beschreibt es zumindest Oliver Jeges, der dazu ein wirklich tolles Buch rausgebracht hat. Besonders lesenswert sind die letzten Sätze der Danksagung. Nein, wir kennen uns wirklich nicht.
So sitzen die Unentschlossenen im Fahrstuhl eines Wolkenkratzers fest. Auf dem Weg nach ganz oben. Dabei sind die Y-Follower dieser Welt eigentlich heimliche Revolutionäre. Still und leise agieren wir ganz unterbewusst und leiten eine neue Ära ein. So ungefähr beschreibt es Teesy auch in seinem Lied „Generation Maybe“ – einfach mal bei Youtube nach betreffenden Titel suchen oder einfach das Video direkt hier unten anschauen. Es wurde übrigens in Erfurt gedreht.
Wie?
Diese Generation hat nach Klaus Hurrelmann strukturelle Umwälzungen initiiert, die einfach gelebt werden. Wir scheißen auf militante posaunenunterstützte Bekanntmachungen – wir machen es einfach, als wäre es das Normalste auf der Welt. Besonders die Generationen vor unserer fühlen sich dadurch manchmal sehr vor den Kopf gestoßen. Der Chef beispielsweise. Da werden flexible Arbeitszeiten einfach mal gelebt. Wer hätte gedacht, dass es doch noch strenge Bürozeiten gibt. Home-Office ist für uns keine Option, sondern eine Selbstverständlichkeit und das Siezen empfinden wir als anstrengend und unnötig.
Dennoch – diese „Einfach mal machen“-Strategie wird von Hurrelmann als wirkungsvolle und nachhaltige Strategie gewertet. Was sollten wir denn auch anderes machen?
Die Eltern trennten sich früh, waren nie zusammen oder haben eventuell nicht mal Sex miteinander gehabt, dennoch wachsen die Y-Follower weitgehend behütet auf. Sie werden gefördert und stets wird ihnen mitgeteilt, dass sie unbedingt einen Abschluss machen müssen, dann müssen sie studieren, etwas lernen und dann einen Job finden der Spaß und reich macht. Ja, nee, ist klar.
Warum haben uns das die Alten eingeredet? Na weil die Prognose einfach nicht mehr so vielversprechend war wie zu ihrer Kindheit. Die sozialversicherungspflichtigen Jobs nahmen ab, die Mieten wurden höher, die Bevölkerung veränderte sich in der Altersstruktur und das Versprechen auf sichere Rente wird von uns mittlerweile nur noch müde belächelt. Hätte ja klappen können.
Längst haben sich Unternehmen auf die Generation Y eingestellt. Es gibt sogar Fortbildungen zum Umgang mit dieser Generation. Zeitarbeitsverträge und Praktika gehören für uns inzwischen zur Karriereplanung dazu. Entgegen aller Behauptungen möchte ich an dieser Stelle behaupten, dass das Selbstbewusstsein der Gen-Y gerade deshalb so groß ist, damit sie genau diese Schwierigkeiten meistern können. Aus systemischer Sicht bleibt auch hier zu hinterfragen, für welchen Sinn sie diese Symptome haben, wenn nicht für die Bewältigung verschiedener Lebensphasen im 21. Jahrhundert.
Heute nichts erlebt – auch schön!
Was wir nicht schon alles erlebt haben – der 11. September, die Lehman-Pleite, Fukushima und gefühlte tausend Klimakatastrophen. Und was haben wir daraus gelernt? Nichts ist planbar und nichts währt ewig. Verbunden mit einer gewissen Grund-Unsicherheit haben wir begonnen, uns ein optimistisch-pragmatisches Everything-Goes-Bewältigungsmodell aufzubauen. Grundstein hierfür ist eine Mischung aus Arroganz, Lebenslaufoptimierung und Freiheitsgefühl. In Deutschland sind wir klein, in der USA sind wir schon mittendrin und „angekommen“ und von anderen Ländern habe ich keine Ahnung.
Uns vereint dabei vor allem die allesentscheidende Frage nach dem Sinn unserer Generation. Eher prozess- als ergebnisorientiert begibt sich so eine ganze Generation auf die Suche. Im Ausland, auf Pilgerwegen oder im Inland in hochkomplexen Beziehungsmodellen. Ob wir wirklich den Sinn in unserer Generation finden, wage ich zu bezweifeln. Immerhin finden wir auf dem Weg alle möglichen Formen der Selbstverwirklichung. Funktioniert Plan A nicht, dann probieren wir halt den Plan B und falls der auch nicht funktioniert, ist der Prof, Lehrer oder Chef schon einmal abgeschrieben – und wir? Wir greifen zu Plan C!
An Auswahlmöglichkeiten mangelt es nicht und wir sind clever genug, um uns entweder finanziell abzusichern oder auch mal das Existenzminimum zu einem Hipster-Lifestyle zu erklären.
„Maybe you should go fuck yourself!“ – Anti-Marlboro-Kampagne
Und wenn wir dann wirklich Bock haben, werden wir die Welt erobern.
Um genau zu sein: die Arbeitswelt. In der gesamten Diskussion über die Gen Y geht es meiner Meinung nach viel zu häufig darum, welche Defizite unsere Generation aufweist. Sind wir nicht selbst die Ressourcenorientierten, die möglichst viel aus ihrem Leben machen wollen? Statt daher auf Defizite zu achten, sollten wir uns vielmehr auf die Ressourcen und Möglichkeiten konzentrieren, die wir aus der Arbeitswelt unserer Zeit ziehen können.
Die Frage ist dabei eine Zweiseitige. Sie betrifft zum einen uns und zum anderen die Unternehmen. Dass sich etwas in der Arbeitswelt ändern muss, ist für beide Seiten einleuchtend. Moderne Arbeitszeitmodelle, Führungsstile und Unternehmensphilosophien spielen hierbei eine entscheidende Rolle für die berühmte Win-Win-Situation. Während aus der Industriegesellschaft gewachsenen Firmen ihre alten Glaubenssätze überdenken, haben moderne Unternehmen längst den Lauf der Wissensgesellschaft erkannt.
Her mit den schönen Ideen!
Um den Arbeitsmarkt angemessen beeinflussen zu können, brauchen sowohl die Unternehmen als auch wir selbst neue Konzepte, Ideen und Managementmodelle. Ausgehend von dem Gedanken der Gen Y ist es durchaus sinnvoll, nicht nur für eine Generation zu denken. Sollten wir wirklich eine neue Ära einleiten, wird sie sicherlich nicht mit der nächsten Generation wieder verschwinden. Statt daher in einer begrenzen Alterskohorte zu denken, wollen wir nun das Ganze als Grundeinstellung verstehen.
Die hinterfragendende Generation trägt nicht aufgrund der alphabetischen Reihenfolge das „Y“, sondern wegen der doppelseitigen Bedeutung des englischen „Why“. Wir hinterfragen viel und ständig. Sich auf die daraus entstehenden Diskussionen einzulassen, Irritationen zuzulassen und resultierende Potenziale zielgerichtet zu nutzen, ist nun die Herausforderung zukünftiger Unternehmen.
Vielleicht sollten wir unangenehme Situationen, Diskussionen und Streit mal einen kurzweiligen Moment aushalten und dadurch neue Ressourcen freilegen. Ja – vielleicht können wir bewährte Strukturen und Zahnriemen damit bewusst anstoßen, Ihre Konzepte neu-zu-denken.
Und wenn es nicht klappt, bleibt uns immerhin noch Plan D.
12 Kommentare
Liebe Farina,
wow das hast du wirklich toll geschrieben. Ich zähle auch zur Gen Y, Generation Maybe oder wie auch immer wir genannt werden und finde mich in deinen Zeilen wieder. Danke dafür.
LG
Tine
Liebe Tine,
vielen tausend Dank! Das ist Balsam für das nervöse Bloggerherz! Danke dir dafür!
Interessanter Artikel 🙂 Teils finde ich mich darin wieder, eigentlich bin ich aber eher der Typ „heute zählt“, es gibt wenig, das ich langfristig plane. Das hat aber auch etwas von Maybe, denn ich lege mich nicht dauerhaft fest, wer weiß schon,was in einem Jahr ist?
Absolut! Die Variation reicht von unentschlossen bis hin zu „ich lebe heute – und nur das zählt“ – aber es beschreibt im Grunde genommen dasselbe. Wer weiß schon, was in einem Jahr ist? 😉
Ha, wir schreiben über dasselbe. Gerade mache ich eine Reihe zum Thema. Vielleicht sollten wir mal was gemeinsam machen.
Hey Alice,
habe mir gerade mal deine Seite angeschaut – das passt! Wow – beeindruckend wie viele Artikel du schon auf die Bildschirme dieser Welt gebracht hast. Weiter so! Gerne können wir mal etwas gemeinsam machen 🙂 Falls dir etwas einfällt, dann lass es mich wissen. LG
…oh, toll – mir gefällt sehr wie du schreibst. Ich bin wirklich gespannt, wie es hier bei dir weitergeht. Soziologisch gehöre ich zur Generation X, fühle mich hier trotzdem sehr wohl 🙂
Liebe Grüße, Bee
Hallo Bee,
schön, dass es dir gefällt!
Ich glaube, es ist einfacher, wenn du einfach dahingehörst, wo du dich wohl fühlst. Von daher bist du wahrscheinlich absolut richtig hier! Ich freue mich auf den Austausch und hoffe, ich lese mehr von solchen schönen Kommentaren 🙂
Liebe Grüße, Farina
Hallo,
Ich finde deine Art zu Schreiben sehr schön. Ich falle wohl auch unter die Generation Y. Für mich fühlt sich das schön an. Es ist doch ein schönes Lebensgefühl, wenn einem die Welt offen steht und wir uns trotzdem bewusst sind, dass wir hart arbeiten müssen und die Welt sich einfach nach ihren eigenen Regeln dreht.
Vielleicht ist es ja auch eine gehörige Portion Idealismus mit Rationalität und Realitätssinn kombiniert. Was eigentlich gar nicht zusammenpasst, wird durch uns passend gemacht. Was für Defizite? Ich sehe nur Vorteile.
Ich bin noch gespannt welche tollen Artikel hier noch folgen werden.
Liebe Grüße, Anja
Hallo Anja,
danke dir!!
Das ist genau der optimistische Ansatz, den ich mit dem Blog verfolgen möchte. Wir haben alle möglichen Wege noch vor uns – warum also traurig sein?! Für uns sind es nicht unbedingt Defizite. Für unsere Vorgänger-Generation manchmal leider schon. Im nächsten Artikel findest du die sechs bekanntesten Gerüchte. Ich möchte mit dem nachfolgenden Blogpost zeigen, dass es eben nicht nur Defizite sind. 🙂 Passt super zu deinem Kommentar!
Liebe Grüße zurück!!
Na wie gut, dass ich 79 geboren wurde & mich mit dem Großteil der aufgezählten Dinge nicht identifizieren kann 😉 Und das obwohl ich auch für Homeoffice, flexible Arbeitszeitmodelle oder Duzen bin, aber ansonsten habe ich auch genügend Freunde im Umfeld, die im Zeitraum 1985-1990 geboren wurden und ebenfalls nicht unbedingt diese Merkmale aufweisen….trotzdem sehr gut geschrieben 🙂
Ich lese seit Jahren Artikel über die Generation Y und habe auch schon einen Redner dazu gehört. Lange dachte ich, die Generation Y sei eine Erfindung der Fachmagazine. Irgendwie muß ein Personalmagazin ja mit Inhalt gefüllt werden. Die Generation Y ist der Versuch, eine Generation zu beschreiben. Für mich ist die Generation Y die Konsequenz aus der Generation Praktikum. Mehr nicht. Ich bin 1980 geboren, je nachdem welchen Artikel ich lese, gehöre ich zur Generation Y oder bin schon wieder draußen. Mich ärgert, wenn ich draußen bin 😉 In der Generation Y zu sein, heißt modern zu sein. Ich glaube die Generation Y kann sich mehr trauen, weil die Wirtschaftslage derzeit besser ist. Dennoch muß auch diese Generation an ihrem Lebenslauf arbeiten. Ich glaube nicht, das diese Generation die Wirtschaft verändern kann. Ich hoffe, ich habe mit meinem Kommentar niemand deprimiert. Da muß man ja auch immer wieder aufpassen 😉