Generation Y.

Generation Y und Syrien? Widerspruch oder Bedingung?

Der 11. September war bislang die größte weltweite Katastrophe, die wir gesehen haben. Wir hatten alle Angst, manche sogar Panik. Denn dass, was in der USA passiert ist, in einem Land das (bis dahin) perfekt und makellos scheint, hätte auch in Deutschland passieren können. Denn so ein bisschen perfekt war unser Land auch. Trotzdem haben wir den Mut gefasst, sind verreist, haben Auslandsaufenthalte abgeschlossen und Freundschaften für die Ewigkeiten geschlossen. Nun ist der böse Septembertag fast 14 Jahre her und seither ist wirklich viel passiert.

Wir haben die amerikanischen Invasionen in Afghanistan und Irak kritisch beobachtet, wir durften die Berichterstattung der Attentate von London und Madrid auf allen Sendern verfolgen; die Morde der NSU verärgerten uns (muss denn sowas heute noch sein?) und der Angriff auf die Redaktion von Charlie Hebdo verunsicherte uns massiv. Die Attentate von Paris zuletzt führen uns den 11. September wieder näher. Es könnte auch uns passieren.

 

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Differenzieren statt Pauschalisieren

Wir haben aber gelernt, zu differenzieren – zumindest ein Großteil von uns – und so unsere Ängste zu kompensieren. Wir können unterscheiden, wann Opfer durch die Medien oder auch durch die Politik instrumentalisiert werden. Wir können unterscheiden zwischen Islam, Islamismus und Salafismus. Und wir mussten leider lernen, dass der Terror sowohl von rechts als auch aus dem tiefsten Inneren unserer Gesellschaft kommen kann. Wir wissen, dass wir nirgends wirklich sicher sind. Zwischen dem Fall der Mauer bis zum Fall der Türme war unsere Welt etwas perfekt. Mittlerweile haben wir gelernt, mit Angst und Unsicherheit umzugehen.

 

Her mit der Fremde!

Fremdheit ist für uns keine Bedrohung, sondern nahezu ein Versprechen. Keine Generation reist so viel wie wir. Keine Generation ist so wild auf etwas neues wie wir. Wir lernen die seltsamsten Sprachen wie Hebräisch, Arabisch oder Türkisch. Balkan Beats locken uns in die kleinen Clubs und der Sudanese in Erfurt macht einfach das beste Fast-Food. Wir wollen überrascht werden, wollen staunen, den Mund aufreißen und vor Freude lachen, egal wie schräg es aussieht. Wir haben uns das Fremde längst zum Vertrauten gemacht.

Soviel Gemeinsam und doch nichts?

Auf einem der vielen Begegnungsabende lerne ich den syrischen Bassam kennen. Ganz dem Namen getreu lächelt er nahezu pausenlos, fragt nach Tabak und dreht sich eine Zigarette. Wir verlassen die Menschenmassen, wollen etwas erleben, kaufen uns eine Fanta und lästern über unsere Vorgängergenerationen. Auf Instagram zeigt er mir die coolsten Locations seiner Heimatstadt. Seine Uni, an der er einen Master in Mediendesign abgeschlossen hat. Bestnoten, schöne Sache. Wir reden auf Englisch, kein Problem. Er erzählt mir von seinen Reisen quer durch Europa, als er noch jünger war. Dann kam der Krieg und das schöne Leben war vorbei. Die Flucht war gut geplant und teuer. Knapp 2.800 Dollar hat er bezahlt, um bis nach Deutschland zu kommen. Er lächelt und sagt, dass er zukünftig die Economy-Class zu schätzen weiß und sich nicht mehr darüber aufregt, wenn sie keine veganen Speisen zur Verfügung stellen. Früher wollte er sich selbst verwirklichen, sagt er, jetzt will er nur noch überleben, einen Job finden, 40 Stunden oder mehr, egal – Hauptsache, etwas zu tun haben. Zwei Bewerbungen hat er schon abgegeben. Beide bei Zeitarbeitsfirmen. Mit etwas Glück sagt er, fängt er nächste Woche bei einem großen Online-Schuhhändler an. Zwar hat er schon gehört, dass die Arbeitsbedingungen dort nicht sonderlich gut seien, die Auflagen streng und die Kontrollen strikter als im Knast, aber es ist ihm einfach egal. Und während er mir all seine dunklen Zukunftspläne offenbart, lächelt er. Ich könnte heulen, aber er lächelt und reicht mir noch eine Fanta. Das Beste aus der Situation zu machen, ist eben auch ein Teil der Generation Y – und es beruhigt uns gemeinsam zu wissen, dass am Ende schon alles gut sein wird.

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Und doch was gelernt…

Wir wissen so viel übereinander wie keine andere Generation vor uns. Wir setzen uns mit Gesellschaft, Politik und Religion auseinander. Kennen den Unterschied zwischen Sunniten, Schiiten und Alawiten und wissen, woher unser Öl kommt und welche Rolle es für die Ostkonflikte spielt. Wir wissen auch, dass Terror keine Frage einer Nation oder Religion ist. Und wir wissen auch, dass Berichterstattung unterschiedlich aussehen kann. Genauso wie wir wissen, dass Ansprüche unterschiedlich aussehen können, obwohl wir uns so ähnlich sind. Und all das wussten wir auch schon vor der „Flüchtlingskrise“, denn all unser Wissen haben wir den vielen zweisprachigen Kindern aus unserem Kindesfreundeskreis zu verdanken. Wir haben gelernt, was es bedeutet, draußen Deutsch und hinter der Wohnungstür afghanisch oder türkisch zu leben.

Es war nicht schlimm. Es war wertvoll, denn von unseren Sandkastenbuddys wissen wir, wie es ist, in verschiedenen Kulturen aufzuwachsen und ständig diesem Druck der verschiedenen Anforderungen ausgesetzt zu werden. Wir haben auch gelernt, wie kacke es ist, jedes Mal wieder erneut gefragt zu werden, woher man denn nun wirklich komme. Die dunklen Haare und Haut würden ja ganz offensichtlich auf ein anderes Herkunftsland schließen lassen.  Und ja, es gibt Kulturen, die fasten. Das heißt noch lange nicht, dass man dort das Jugendamt informieren muss, um auf Kindeswohlgefährdung aufmerksam zu machen. Übertrieben? Nee. Das habe ich alles erlebt.

 

Kaique Rocha2

Fazit

Und was machen wir damit? Wir schauen mit unseren Freunden gemeinsam Homeland. Finden die Serie unheimlich spannend, aber ärgern uns auch gemeinsam um die offensichtlich total übertriebene Darstellung einer düsteren arabischen Welt, die in die Machenschaften aller bösen Endgegner verwickelt ist. Wir sind gemeinsam verunsichert, wenn wir neue Terrornachrichten hören. Wir lachen gemeinsam über die AfD und ärgern uns über ihre Daseinsberechtigung. Wir gehen zusammen zum Sudanesen und teilen uns die Fanta.

Wer heute noch behauptet, dass wir mit neuer Kultur nicht klarkommen, kann unmöglich unserer Generation entstammen oder wurde in der Kindheit einfach nicht rausgelassen. Wir müssen uns nicht erst noch öffnen. Wir haben es bereits vor 24 Jahren getan.

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3 Kommentare

  • Reply Weltentdeckerin Februar 6, 2016 at 7:03 pm

    Liebe Farina,

    Ein schöner Artikel und ich würde dir gerne zustimmen, aber ich bin zumindest nicht so aufgewachsen. Im Osten habe ich nie die Gelegenheit gehabt mich mit Leuten aus anderen Ländern zu befreunden- außer ein paar russischen und polnischen Gastarbeitern, gab es dort niemanden. Da wurden schon Leute aus entfernten Städten, wie Ausländer behandelt. Ich denke dass die Generation Y sich da extrem zweiteilt. In meiner Heimat gibt es fast nur den Hass. Wer anders dachte, ging weg, so wie ich.

    Ich habe das Alles nachgeholt, mehr als wohl 99 % der Menschen. Und auch da hat sich dann das wahre Gesicht von manchen Menschen gezeigt, die solange tolerant und weltoffen waren, bis sie wirklich damit konfrontiert waren und ihre Freundin einen arabischen Mann heiratete. Dann wars vorbei- mit der weltoffenheit und auch mit der Freundschaft.

    Das was du schreibst, fühle ich zwar auch, aber meine Mitmenschen leider zu 80 % nicht, egal wie alt sie sind. Umso schöner aber, deine schönen Worte zu lesen.

    Liebe Grüße, Anja

    • Reply Farina Februar 12, 2016 at 3:50 pm

      Hey Anja,
      vielen Dank für deinen Senf!
      Zu deinem Senf gibt es sogar eine Theorie! Irgendein Wissenschaftler hat mal gesellschaftskritisch untersucht, warum die Menschen in Osten und Westen unterschiedlich sind. Kulturschock Deutschland: Der zweite Blick – von Wolf Wagner.

      Liebe Grüße!

  • Reply Franziska Februar 26, 2016 at 5:58 pm

    Ich liebe es, meinen Senf dazuzugeben. Am liebsten noch mit Mayonnaise. Ketchup mag ich nicht. Zuviel Zucker drin. 🙂 Bin zwar schon ein bisschen älter als Generation Y, aber egal. Es macht Spass, deine Texte zu lesen.
    Das Motto „Das Beste aus der Situation zu machen“ sollte sich jede Generation zu Herzen nehmen. Herzlich, Franziska

  • Senf dazugeben

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